Kindheit im Patriarchat

Eigentlich habe ich mich auf die Suche gemacht nach Ritualen der Kindheit, habe aber nicht viel gefunden. Aber ein paar Informationen zur Kindheit in der Vergangenheit habe ich zusammengetragen. Dabei kristallisiert sich heraus, dass Kindheit oft das ist, was sich die Erwachsenen darunter vorstellen, egal, ob Kinder ein notwendiges Übel waren oder die Kindheit nostalgisch verklärt wurde.
Durch die Jahrhunderte hinweg waren die Erwachsenen das Ideal, Kinder galten nicht als eigenständige Persönlichkeiten, sondern als unfertige Erwachsene, die sich möglichst schnell und unauffällig zu fertigen Erwachsenen entwickeln sollten.

Die Kindersterblichkeit in der patriarchal-antiken Zeit war hoch, zusätzlich traf die Kinder oft eine gnadenlose Auslese. Bei den Spartanern wurde nach kriegerischen Qualitäten selektiert, wer zu schwach war, wurde umgebracht oder ausgesetzt, „überflüssige“ Mädchen, die nicht zur Erhaltung des Volkes gebraucht wurden, ebenfalls.
Die Griechen zogen oft nur ein oder zwei Kinder auf, nur selten mehr als ein Mädchen. Der Historiker Polybios kritisierte, dass sich Griechenland entvölkerte, weil die Menschen „nicht mehr heiraten oder, wenn sie es tun, ihre Kinder nicht aufziehen wollen, sondern meist nur ein oder zwei, damit sie in Luxus aufwachsen und ungeteilt den Reichtum ihrer Eltern erbten.“
Bei den Römern wurde das Kind nach der Geburt auf den Boden gelegt. Wenn es der Vater aufhob, wurde es großgezogen. Wenn nicht, dann wurde es ertränkt, erdrosselt oder ausgesetzt. Mehr als ein Mädchen zogen auch die vornehmen Römer selten groß. Kaiser Augustus erließ aus bevölkerungspolitischen Gründen mehrere Gesetze, u. a. eine Ehepflicht für römische Bürger und das Dreikindrecht (ius trium liberorum), das besondere Privilegien beinhaltete für die, die drei oder mehr Kinder hatten.
Tacitus lobte die „edlen“ Germanen, die ihre Kinder frei aufwachsen ließen. Er wollte mit seiner „Germania“ allerdings Kritik am seiner Meinung nach verweichlichten und dekadenten römischen Bürgertum üben, deshalb ist es nicht sicher, wie sehr er bei der Wahrheit geblieben ist.

Nach der Geburt wurden die Kinder mit Wickelbändern verschnürt wie ein Paket, weil man glaubte, sie würden sonst krumm wachsen, sich die Augen auskratzen oder an sich herumspielen. Die Wickeltechnik mit Bändern wurde bei den Römern die ersten sieben Monate lang ausgeübt, später wickelte man die Kinder bis zum Alter von eineinhalb Jahren. Die Methode, ein Kind zu einem Paket zu verschnüren, wurde bis ca. im 19. Jh. beibehalten.
Wer es sich leisten konnte, zog seine Kinder nicht selbst groß, sondern gab sie zu einer Amme. Das galt für die griechisch-römische Antike genauso wie für Ägypten, und wurde beibehalten bis weit in die Neuzeit.

Die Kindheit endete im Allgemeinen mit 7 Jahren, die Jugend etwa mit 14.

Kinder der Reichen, manchmal auch der ärmeren Bevölkerungsschichten bekamen eine Schulausbildung, die allerdings mit moderner Pädagogik nichts zu tun hatte. Den Kindern wurde das Wissen oft mit der Rute eingebläut. Ansonsten lernten die Kinder durch Mithilfe bei den Erwachsenen und durch Nachahmung.
Überliefert ist natürlich hauptsächlich die Kindheit der reicheren Bevölkerung, wie die Armen und Sklaven ihre Kinder behandelten, kann man oft nur aus Nebensätzen heraushören. Die Kinder der Armen waren wohl weniger streng behütet, mussten dafür aber oft schwer arbeiten, sobald sie laufen konnten.

Die Kindheit hindurch trugen die Kinder Unisex-Kittel, die erste Hose des Jungen (wurde vom Paten geschenkt und gefeiert. Die Kleidung war natürlich nicht so bunt wie heute, selbst bei den Reichen war die bunte Kleidung, die wir von Gemälden kennen, nur Sonntagsstaat. Erst mit besseren Farben und besseren Waschtechniken wurden die Farben bunt. Die Gewohnheit, Mädchen Rosa und Buben blau zu kleiden, kam erst gegen 1920 auf, vorher war es genau umgekehrt, rosa galt als die kindliche Variante des männlichen Rot, und blau war die Madonnenfarbe.

Kindheit als etwas Eigenständiges und damit eine Kinderkultur entwickelte sich erst mit dem Großbürgertum und der Industrialisierung, gleichzeitig mit den Fabriken und der Ausbeutung der Kinder als billige Arbeitskräfte. Während die Kinder der Armen in Fabriken und Zechen ohne Schutz und Rechte bis zum Umfallen schufteten, lebten die Kinder der Reichen in einer nostalgisch-verlogenen Idylle.

Wenn man nach Ritualen im Zusammenhang mit der Kindheit sucht, findet man zuerst Kinderopfer. Die Überlieferung der Bibel und die Römischen Geschichtsschreiber berichten von Massenverbrennungen der Erstgeborenen in Karthago als Opfer an den Moloch. Die Historiker streiten sich darüber, ob die Opferungen tatsächlich stattfanden oder dahinter nur Polemik von Karthagos Feinden steckt. Der bekannteste Bericht über ein Kinderopfer in der christlichen Bibel ist die Geschichte von Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern sollte. Als er sich daran machte, sagte ihm sein Gott, er wollte ihn nur prüfen.
Die Historiker berichten auch von Kindern, die als Schutz in Brückenpfeiler oder Häuser eingemauert wurden.
Historische Berichte über Kinderopfer sind aber immer mit Vorsicht zu betrachten, da es ein beliebtes Argument war, seinen Gegnern als besondere Gräueltat Kinderopfer anzuhängen. Das geschah z. B. auch bei den Hexenverfolgungen.

Rituale für Kinder gab es und gibt es immer noch, auch wenn sie oft gar nicht als Rituale verstanden werden. Kinder feierten natürlich die Feste ihrer Kultur mit und Weihnachten ist sicher bei uns hauptsächlich ein Fest für Kinder. Nicht nur Geburtstage, sondern auch Wendepunkte im Leben der Kinder wurden und werden gefeiert, so z. B. der erste Schultag und Feste wie Kommunion oder Jugendweihe.
Neben den Ritualen der Gesellschaft gibt es natürlich auch immer Rituale, die die Kinder selbst für sich erfinden. Darunter fallen auch Zugehörigkeitsrituale zu ihrem Freundeskreis. In meiner Kindheit gehörte dazu z. B. das Äpfel klauen beim Nachbarn, heute ist es wohl vom Kaugummi klauen im Supermarkt abgelöst worden. Man sollte „kriminelle“ Handlungen von Kindern sicher auch unter diesem Aspekt betrachten.

Eine Form von Ritualen sind sicher auch so brutale Methoden wie das Füße binden bei den Chinesen oder die Beschneidung der weiblichen Genitalien. Das Brechen und Schnüren der Füße zu „Lotusfüßen“ wurde in China 1911 verboten und nach 1930 dann auch nicht mehr praktiziert, die Beschneidung wird heute noch in vielen Ländern durchgeführt. Laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit zwischen 100 und 140 Millionen Frauen und Mädchen an den Genitalien beschnitten (Stand 2008). Wenn man solche Zahlen liest, sollte man auch daran denken, dass es vor allem Frauen sind, die Frauen solche Dinge antun: Frauen haben ihren Kindern die Füße mit einem Stein gebrochen und Frauen führen die Beschneidungen durch…

Menstruationsrituale gibt es natürlich auch. In unserem Kulturkreis trifft man allerdings eher auf Tabus, Verbote und Aberglauben statt auf Menstruationsfeiern. Die Verbote betreffen nicht nur die Menarche, sondern menstruierende Frauen generell, deshalb habe ich mir das Thema für unsere Themenausgabe „erwachsene Frau“ aufgehoben.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kindest%C3%B6tung
http://de.wikipedia.org/wiki/Lex_Iulia_et_Papia
http://de.wikipedia.org/wiki/Dreikindrecht
http://www.farbimpulse.de/artikel/liste.html?artikelid=23&artik...
http://de.wikipedia.org/wiki/Lotosfu%C3%9F
http://de.wikipedia.org/wiki/Beschneidung_weiblicher_Genitalien
Marie-Louise Plessen/Peter von Zahn: Zwei Jahrtausende Kindheit; vgs 1979


Marion

http://www.schlangengesang.de/archiv/41.htm

 

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