Verletzte Kinder

Was braucht ein Kind?
Es ist einfach: Liebe, Geborgenheit und ein sicheres Umfeld. Das braucht das
Kind, um zu wachsen und zu gedeihen, um die Welt zu erforschen und groß zu
werden. Interessanterweise stellt das niemand in Frage, auch wenn die Liste der
wichtigen Dinge mitunter länger ist.. Die Liste impliziert, dass nahe stehende
Menschen für ein Kind da sind, denn Liebe ist kein abstrakter Begriff, sondern
ein erlebbares zwischenmenschliches Gefühl.

„Du machst mich wahnsinnig“
„Du Tollpatsch, du Trottel“
„Kannst du denn nie etwas richtig machen?“
„Wie kannst du nur so dumm sein?“
„Hör sofort auf zu Heulen“
Klingt das nach einem sinnvollen Umgangston für jemanden, den wir lieben? Würden
wir uns so behandeln lassen wollen? Vielleicht schon – ich habe jahrzehntelang
so mit mir selbst geredet – ganz dem ersten Vorbild folgend. Ein gesundes Kind
spürt, dass so ein Umgangston falsch ist, aber trotzdem ist es der Ansicht, dass
die Eltern Recht haben müssen. Und so wird es wohl nicht wenige Erwachsene
geben, die gelernt haben, so mit sich selber reden, mit ihren PartnerInnen und
ihren Kindern.

Jeder Mensch möchte glücklich sein. Kinder sind toller weise glücklich – einfach
so - , wenn wir sie lassen. Elementar dafür ist, dass wir die Kinder sich selbst
sein lassen – ohne sie allein zu lassen.
Nur wenn wir einen Menschen so annehmen, wie er ist, kann er echte Liebe und
Wertschätzung erfahren. Das gilt für Erwachsene aber es gilt unbedingt ganz
besonders für Kinder. Das Kind lernt durch die es umgebenden Menschen alles über
sich selbst und die Welt.. Wenn die Erwachsenen das Kind gar nicht so
wahrnehmen, wie es ist und es formen und verbiegen, um ihr Idealkind zu
bekommen, ist die Botschaft klar: Du bist nicht richtig, so wie du bist.. Das
Kind bekommt als Baby und Kleinkind so oft gesellschaftlich normal die
Grundbedürfnisse nicht erfüllt und lernt so kein Urvertrauen, kein
Selbstvertrauen und kein positives Selbstbild. Es lernt, dass andere die Macht
haben. Es lernt, dass es selber nicht wichtig ist. Es lernt, dass es für die
Gefühle der anderen zuständig ist und es lernt, dass andere für seine Gefühle
zuständig sind. Und so viele andere ungesunde Dinge mehr.

Ich sehe überall nur Menschen, die es gut mit den Kindern meinen. Aber überall
auf der Straße, im Supermarkt, findet auch das tägliche Drama statt:
übertriebene Strafandrohungen bei normalem kindlichem Verhalten, Ignorieren der
elementaren Bedürfnisse von Säuglingen, Gefühlsverbote, Verneinung kindlicher
Wahrnehmung und darauf folgende Beschimpfung, Liebesentzugsdrohungen, Drohungen
aller Arten, Kinder ohne Halt bei extremen Emotionen stehen lassen, Bestrafung
durch Ignorieren, die Liste ist lang.
Aus Sicht eines Erwachsenen kann vieles davon so schön rational diskutiert und
begründet werden. Irgendwas findet sich sicherlich, was man zitieren kann, um
dies zu rechtfertigen –und manchmal sind es sogar Bestseller. Meistverkauft nach
wie vor das Buch, in dem die Autorin behauptet - entgegen allen
Menschenverstandes und entgegen jeglicher moderner Forschung – es würde dem
Säugling nicht schaden, wenn er sich alleingelassen regelmäßig in den Schlaf
weint.. Ach nein, nicht regelmäßig, denn das Baby hört nach ein paar Tagen ja
auf zu weinen – alleine, zutiefst verunsichert und geschädigt..
All das ist noch immer gesellschaftliche Norm und wird gesellschaftlich nicht
geahndet. Der Graubereich der körperlichen Gewalt und Misshandlung kommt noch
hinzu. Mag sein, dass es heute besser ist als vor 50, 100 und 150 Jahren. Die
Normalität der extremen Gewalt hat abgenommen. Aber schlimmerweise wird von so
vielen nicht die Gewalt und der Schaden im Liebesentzug und Erniedrigung
gesehen. Ich weiß, es gibt heute auch andere Familien und sie werden immer mehr.
Es ist so dringend nötig.
Die kürzlich verstorbene Alice Miller bringt es auf den Punkt: Die Wurzel der
Gewalt ist nicht unbekannt.. Sie wird immer noch in den Ursprungsfamilien
tradiert, durch Gewalt, emotionale Erpressung, Erniedrigung, Beschimpfung und
viele andere Methoden, die die jungen Menschen ernsthaft schädigen.
Den Kreislauf durchbrechen können wir Erwachsene.

jana

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